Der Außenpolitiker warnt vor einem zweiten Somalia
  
  Das Gespräch führte Jasper Barenberg am 18. Januar 2013 im Deutschlandfunk
  
  Neben der Entsendung von zwei Transall-Flugzeugen nach Mali könnten auf Deutschland weitergehende Maßnahmen zukommen, sagt Ruprecht Polenz (CDU). Allein auf das Militär zu setzen werde aber keine Lösung herbeiführen, warnt der Außenpolitiker.
  
  Jasper Barenberg: Wie viele Menschen  gerettet werden konnten, wie viele ums Leben gekommen sind bei dem  Versuch der algerischen Armee, die Geiseln auf dem Gasfeld in der Wüste  zu befreien, das wissen wir noch immer nicht genau. Die Regierung in  Algier will eine große Zahl von Geiseln befreit haben. Die  islamistischen Kidnapper haben von 34 toten Geiseln gesprochen.
  Ein  wilder Haufen fanatischer Kämpfer auf klapprigen Geländewagen - von  wegen! Die islamistischen Rebellen auch in Mali erweisen sich als besser  ausgebildet als gedacht, als viel besser ausgerüstet und auch als  ausdauernder. Schon der überraschende Vorstoß der Milizen auf die  Hauptstadt Bamako war deshalb eine Überraschung. Der Vormarsch hat erst  die einzige Kolonialmacht Frankreich unter Zugzwang gesetzt und jetzt  die europäischen Partner. Die Außenminister haben gestern auf einer  Sondersitzung beschlossen, die lange schon geplante Ausbildungsmission  für die malische Armee rasch auf den Weg zu bringen.
  Am Telefon  begrüße ich Ruprecht Polenz von der CDU, er ist der Vorsitzende im  Auswärtigen Ausschuss im Bundestag. Schönen guten Morgen.
  
  Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Barenberg.
  
  Barenberg:  Lassen Sie uns zu Beginn, Herr Polenz, über die Geiselnahme in Algerien  sprechen, über den Befreiungsversuch der algerischen Streitkräfte und  über die möglichen Folgen. War es richtig von der algerischen Regierung,  mit so großer Härte vorzugehen?
Polenz: Das kann ich nicht  beurteilen, denn Sie haben gerade in dem Bericht selber noch mal gehört  und gesagt, die Nachrichten sind nach wie vor widersprüchlich. Wir  wissen weder genau, wie das Vorgehen war, noch, wie das Ergebnis gewesen  ist. Aber ich finde, wir können etwas anderes sagen. Die Forderungen  der Geiselnehmer waren ja, wir lassen sie nur frei, wenn Frankreich  seinen Einsatz in Mali beendet. Damit ist doch klar, welche Ziele  verfolgt werden. Die Geiselnehmer und ihre Bündnisgenossen wollen sich  in Nordmali einen sicheren Zufluchtsort verschaffen, von dem aus sie  dann alles das planen können, was wir jetzt gerade in Algerien gesehen  haben. Also von daher macht auch diese Geiselnahme in Algerien noch  einmal deutlich, dass die Befürchtungen, die auch jetzt zu dem  französischen Eingreifen geführt haben, dort könnte ein zweites Somalia  entstehen, mehr als berechtigt gewesen sind.    
Barenberg:  Sie fühlen sich also bestätigt in der Auffassung, dass die  islamistischen Rebellen, die aktiv sind im Norden von Mali, nicht nur  das Land selber bedrohen und den Norden von Afrika, sondern am Ende auch  Europa?    
Polenz: Ich glaube, dass  man die Ursachen-Wirkungskette genau so sehen muss. Ich sehe jetzt auch  den einen oder anderen Kommentar, der gesagt hat, weil die Franzosen  eingegriffen haben, hat es diese Geiselnahme gegeben. Nein! Die  Franzosen haben eingegriffen - einmal, um den Vormarsch Richtung  malischer Hauptstadt zu stoppen, das ist offensichtlich gelungen, und um  zu verhindern, dass von Mali aus künftig solche Operationen geplant  werden können und organisiert werden können. Und ich denke, das hat  diese Geiselnahme in Algerien, so tragisch sie möglicherweise jetzt auch  im Ausgang verlaufen ist, überdeutlich gemacht.    
Barenberg:  Zeigt diese Geiselnahme auch, dass die islamistische Bedrohung, die von  der ganzen Region ausgeht, die in der ganzen Region stattfindet,  sträflich vernachlässigt worden ist, auch von der Bundesregierung, auch  von der Europäischen Union bisher?    
Polenz:  Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann, denn das Thema Somalia  beschäftigt uns ja, wenn Sie so wollen, seit 20 Jahren. Wenn ein Staat  erst einmal so weit zerfallen ist, wie das in Somalia der Fall ist  inzwischen, ihn dann wieder zu stabilisieren, zurückzuführen in eine  Situation, wo eine verantwortliche Regierung das Land tatsächlich  regiert, ein Gewaltmonopol hat, dass das dann außerordentlich schwer ist  - und wir haben ja vielfach bei der Frage der Pirateriebekämpfung  darüber geredet, müssen wir nicht eigentlich, sollten wir nicht  eigentlich jetzt auch in Somalia stärker einwirken -, dann fehlen sehr  schnell die Mittel und die Möglichkeiten.    
Barenberg:  Frankreich hat allerdings schon, Herr Polenz, seit Monaten vor der  islamistischen Gefahr gewarnt, die sich in Mali zusammenbraut, und ich  vermute mal auch darauf hingewiesen, dass es die ganze Region betrifft.  Hat die Bundesregierung nicht zu lange gezögert, um da wirklich Fakten  zu schaffen, Nägel mit Köpfen zu machen, was eine geschlossene Strategie  auch der Europäischen Union angeht?    
Polenz:  Also die geschlossene Strategie der Europäischen Union ist entwickelt,  sie liegt vor. Es ist ja auch keine Kleinigkeit, alle  EU-Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Sicht der Lage, eine gemeinsame  Bedrohungseinschätzung und dann auch auf ein gemeinsames Vorgehen zu  verpflichten, wie das jetzt mit der Trainingsmission geschehen ist, die  jetzt auch beschleunigt wird, und auch mit der Unterstützung für eine  afrikanisch geführte Mission der ECOWAS-Staaten, also der Nachbarstaaten  Malis. Das war in der ganzen Strategieentwicklung besonders wichtig. Es  sollte unter afrikanischer Führung stattfinden, auch um politisch nicht  in ein schwieriges Fahrwasser zu kommen, etwa mit dem Vorwurf des  Neokolonialismus kämpfen zu müssen.    
Barenberg:  Aber diese Ausbildungsmission war ja so geplant, dass man jetzt Monate  Zeit haben würde, in Ruhe Kräfte der malischen Armee auszubilden. Diese  Planung ist ja über den Haufen geworfen worden von den Ereignissen, und  bedeutet das eben nicht, dass man die Gefahr doch unterschätzt hat?    
Polenz:  Man ist überrascht worden, lassen Sie mich es so ausdrücken, und wir  wissen ja, dass die auslösende Ursache - und die liegt nun schon eine  Zeit zurück - zusammenhängt auch mit dem Sturz Gaddafis und mit der  Tatsache, dass etwa 2500 Touareg, die in Gaddafis Sold waren, mit ihren  Waffen zurückgegangen sind nach Mali und dort dann erst einmal für die  Unruhen im Norden und für den Putsch in Mali mit gesorgt haben.    
Barenberg:  Mittlerweile können wir sagen, Frankreich und seine europäischen  Partner, auch die Bundesregierung, alle sind sich einig, die Kanzlerin,  dass eine Gefahr nicht nur für die Region, für Afrika ausgeht, sondern  auch für ganz Europa. Reicht es da jetzt aus, zwei Transportmaschinen  der Bundeswehr auf den Weg zu schicken, oder kann das nur ein Anfang  sein?    
Polenz: Das wird die weitere  Lageentwicklung zeigen. Die Bundesregierung hat ja gestern diese  Entscheidung getroffen, hat die Sprecher der Fraktionen darüber  informiert und gleichzeitig gesagt, die Lage entwickelt sich weiter, die  Bundesregierung nimmt mit den anderen europäischen Staaten an der  Beratung auch über mögliche weitere Maßnahmen teil, und es kann sein,  dass wir in der nächsten Woche oder in der übernächsten Woche Vorschläge  bekommen jetzt als Parlament, die möglicherweise auch bedeuten, dass  der Bundestag für weitere Maßnahmen ein Mandat erteilen müsste.    
Barenberg: Sie können sich jedenfalls ein noch stärkeres Engagement vorstellen. Wie könnte das aussehen?    
Polenz:  Ich bin kein Militär und die Fragen, welche Maßnahmen erforderlich  sind, werden von der Lagebeurteilung vor Ort abhängen. Was wir jetzt  sagen können - das hatten Sie auch in Ihrer Anmoderation gesagt: Die  Ausbildungsmission wird beschleunigt werden. Die 3300 Mann von  afrikanischen Nachbarstaaten, also Soldaten, werden nach Mali gebracht,  um dort die Hauptstadt zu schützen. Und was ganz wichtig ist - und  darüber wird jetzt bei den Spekulationen über eine weitere Entwicklung  der militärischen Lage zu wenig gesprochen: Es geht ja auch parallel um  den politischen Prozess. Es wird Verhandlungen geben zwischen der  Regierung und den Touareg im Norden. Es geht auch darum, die  gewaltbereiten Kräfte, die jetzt gegen Bamako vorgegangen sind, zu  isolieren und gemeinsam auch mit anderen zu bekämpfen. Von der Frage,  kommt dieser Prozess zustande und wird er erfolgreich sein, hängt auch  sehr viel ab.    
Barenberg: Aber die militärische Last, die muss Paris erst einmal und auf Dauer alleine tragen? Ist das die Botschaft der Bundesregierung?    
Polenz:  Ich glaube nicht, dass das die jetzige Botschaft so ist, denn die  Franzosen empfinden es selbst auch nicht so. Sie sagen ja - und das  waren die Äußerungen, die gestern aus Paris kamen -, es wird in eine  afrikanisch geführte Mission übergehen, und das sind die 3300 Mann, die  jetzt aus den Nachbarländern nach Mali kommen.    
Barenberg:  Aber welche Gewähr gibt es denn dafür, dass Truppen der ECOWAS, der  Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, das erreichen können, was die  Franzosen jetzt versuchen, nämlich die Islamisten zunächst einmal  zurückzudrängen, und das dann auch sicherzustellen, dass es  beispielsweise so etwas wie eine Ausbildungsmission der Europäischen  Union dann überhaupt geben kann?    
Polenz:  Ich glaube, das Ganze hängt eben auch sehr stark von der Frage ab, wie  schnell kommt auch ein politischer Prozess in Gang, der die Lage auch  beruhigt. Wir haben keinen genauen Überblick, ich habe ihn jedenfalls  nicht, um wie viele Dschihadisten es sich in Mali konkret handelt. Wir  hören relativ Genaues über die Zahlen etwa aufseiten der malischen  Regierung, die bei den Streitkräften dort zur Verfügung stehen. Ich bin  auch kein Experte jetzt im Wüstenkampf. Ich kann Ihre Frage, wird mehr  Militär gebraucht werden, heute so nicht beantworten. Eines ist aber  klar - und das war auch schon bei der Planung der Ausbildungsmission  klar: Allein aufs Militär zu setzen, wird eine Lösung nicht  herbeiführen. Das Militär war jetzt nötig, auch der französische  Eingriff, um den Spielraum, um die Möglichkeiten für eine politische  Lösung überhaupt zu erhalten, denn wenn erst mal Bamako gefallen wäre  und die Dschihadisten hätten in Bamako genauso gewütet wie in den  besetzten Gemeinden, die sie erobert hatten, dann hätte es keinen  politischen Prozess mehr geben können.    
Barenberg:  Ruprecht Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im  Bundestag, heute Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das  Gespräch, Herr Polenz.    
Polenz: Bitte schön!