Ruprecht Polenz &bsp;
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Polenz in der Presse
13.06.2013, 16:14 Uhr
 
CDU-Außenpolitiker Polenz Ausgang der Krise in der Türkei noch nicht abzusehen
Rupecht Polenz im „SWR2 Tagesgespräch“ zum Thema „Unruhen in der Türkei“ im mit Rudolf Geissler, am 13.6.2013.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages,
Ruprecht Polenz (CDU), hält die weitere Entwicklung der Krise in der Türkei für offen. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Polenz, in der aktuellen Auseinandersetzung um den Istanbuler Gezi-Park werde viel davon abhängen, ob Ministerpräsident Erdogan das geplante Referendum „ernsthaft weiter verfolgt oder nicht“. Die Türkei schwebe immer zwischen den beiden Gefahren, in einen islamistischen Staat oder in „Hyper-Nationalismus“ abzugleiten.

Deshalb sei es so wichtig, dass die EU die Beitrittsverhandlungen mit Ankara wieder aufnehme. Nur so könnten zwischen den beiden „Versuchungen“ dauerhaft „sichere Leitplanken“ eingezogen und das Land „auf Kurs“ gehalten werden, sagte Polenz. Dabei werde sich zeigen, ob es die Türkei am Ende wirklich schaffe, sich so zu ändern, dass sie in die Europäische Union
hineingehöre.

Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Die schlimmen Szenen der letzten Tage in Istanbul haben sich über Nacht zum Glück nicht wiederholt. Spricht das aus Ihrer Sicht für eine nachhaltige Entspannung der aktuellen Krise in der Türkei, oder ist der weitere Verlauf noch überhaupt nicht absehbar?

Polenz: Ich würde das zweit sagen. Ich glaube, man kann noch nicht genau sagen, wie es weiter geht. Das wird jetzt sehr davon abhängen, ob beide Seiten aufeinander zugehen und dadurch die Lage weiter beruhigen. Vor allen Dingen finde ich, wird auch wichtig sein, ob Erdogan dem Vorschlag über die Frage im Gezi-Park mit einem Referendum die Bevölkerung entscheiden zu lassen, ob er den jetzt ernsthaft weiter verfolgt oder nicht.

Geissler: Ist das Angebot ein echtes Eingehen auf die Demokratiebewegung, oder ist es eher geeignet, ihr die Spitze zu nehmen?

Polenz: Nun zunächst einmal hat ja die Bevölkerung in Istanbul geärgert, dass in einem wichtigen Bauvorhaben offensichtlich über ihre Köpfe hinweg etwas verändert werden sollte, womit viele nicht einverstanden waren. Und wenn Erdogan in dieser Frage jetzt sagt, o.k., das war so nicht richtig, ich will jetzt mal genau wissen und letztlich sollen es die Istanbuler entscheiden. Dann denke ich, ist das zwar zunächst einmal nur ein Umgang mit dem Anlass der Demonstration. Sie sind dann auch in vielen anderen Städten weiter gegangen. Aber er trifft schon auch den Grund, nämlich dieses Bevormundende von oben herab, was die Leute auf die Palme gebracht hat.

Geissler: Die weitere Entwicklung müssen wir abwarten. Die Europäische Union, auch die Bundesregierung, hat die Gewalt der letzten Tage einmütig verurteilt. Und es gibt Stimmen in allen Parteien, aber vor allem auch in der Union, die verlangen, die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei auf Eis zu legen. Sie dagegen haben gestern für eine Neubelebung der Beitrittsgespräche plädiert. Was genau stellen Sie sich darunter vor?

Polenz: Zunächst mal nach meinem Eindruck waren gestern in der aktuellen Stunde die weit überwiegenden Rednerinnen und Redner genau auch dieser Meinung. Ich habe sehr konkret auf Kapitel 23 verwiesen. Kapitel 23 betrifft den Bereich Justiz und Grundrechte. Man muss ja wissen, wenn ein Verhandlungskapitel eröffnet wird, dann heißt das nicht, dass man wie bei einem Kaufvertrag über ein Auto sich dann irgendwo in der Mitte der Preisvorstellungen trifft, sondern es heißt, dass die Türkei ihr ganzes Justiz- und Rechtswesen dem der Europäischen Union angleicht. Sie muss vor allem den europäischen Rechtstand übernehmen – nicht nur ins Gesetzblatt, sondern auch in die gelebte Praxis. Diesen Prozess nennen wir Verhandlung. Und es ist jetzt leider so, dass dieses Kapitel von Zypern blockiert ist. Sie wissen, wegen des nicht unterschriebenen oder nicht ratifizierten Ankara-Protokolls, zypriotische Schiffe in die türkischen Häfen landen zu lassen, hat Zypern einige Kapitel blockiert. Darunter auch das Kapitel Justiz und Grundrechte. Ich halte das für nicht richtig, weil gerade hier gezeigt werden könnte, wie ernst meint es die Türkei mit dem Willen, der EU beizutreten. Und wie ernst ist es ihr mit den Reformen im Justiz- und Rechtsystem, wo die Fortschrittsberichte der Europäischen Union auch schon in der Vergangenheit – gerade beim Demonstrationsrecht, beim Umgang der Polizei mit Demonstrationen – immer wieder gravierende Mängel festgestellt haben. Und die letzten Ereignisse habe das ja nochmal bestätigt.

Geissler: Wenn Sie mal auf die bisherigen Beitrittsverhandlungen schauen, umgekehrte Perspektive: Welche Fortschritte ragen denn heraus aus den Gesprächen, sodass zu erwarten ist, dass die Türkei sich weiter zubewegt auf die Europäische Union.

Polenz: Verhandlungskapitel sind ja bisher eine ganze Reihe eröffnet worden. Und das Kapitel Wissenschaft und Forschung ist abgeschlossen. Da kann man also davon ausgehen, dass die Türkei den europäischen Rechtsrahmen übernommen und implementiert hat. Aber auch im Umweltrecht beispielsweise, im Bereich Gesundheit und Verbraucherschutz, bei der Finanzkontrolle sind sicherlich Fortschritte erzielt worden. Die genaue Bilanz zieht jedes Jahr der Fortschrittsbericht der Europäischen Union. Und das Beleben dieses Prozesses betrifft ja beide Seiten, also auch die Türkei muss sich wieder stärker anstrengen, so wie unmittelbar in der Zeit nach Beginn der Beitrittsverhandlungen im Jahre 2005, wo für Erdogan diese Reform auch noch einen höheren Stellenwert hatte als in den letzten zwei, drei Jahren.

Geissler: So wie Sie es sehen, klingt es so als eine Umkehrung der Verhältnisse in der Türkei eigentlich gar nicht mehr möglich. Wie groß ist denn die Gefahr, dass die Türkei doch noch in einen islamistischen Staat abdriften könnte?

Polenz: Ich glaube, die Türkei steht ständig in zwei Gefahren. Einmal besteht möglicherweise die Gefahr eines Abgleitens über eine längere Zeit in einen immer mehr religiösen islamistischen Staat und auf der anderen Seite ein Hyper-Nationalismus. Das sind die beidenVersuchungen, denen die Türkei unterliegt, und denen sie in ihrer Geschichte auch ausgesetzt ist. Und der EU-Prozess würde für beide Gefahren gewissermaßen sichere Leitplanken einziehen, dass das nicht passiert. Aus dem Grund bin ich sehr dafür, dass dieser EU-Prozess fortgesetzt wird. Ob es die Türkei am Ende schafft, alle Kriterien zu erfüllen, ob sie so weit gehen will, sich zu ändern, damit sie in die Europäische Union wirklich hineinpasst, das wird dann letztlich ihre Entscheidung sein. Aber dieser Prozess als solcher würde sie auf Kurs halten.
- Ende Wortlaut -