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23.04.2010, 13:05 Uhr
Ruprecht Polenz spricht am 22. April 2010 im Bundestag zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Als die erste Entscheidung über einen Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan fiel, waren Sie, Herr Trittin, genauso Minister einer Bundesregierung wie Sie, Frau Künast. Einer der wesentlichen Gründe, der damals in der Debatte angeführt wurde, war: Wir dürfen den Fehler, den die internationale Staatengemeinschaft nach dem Abzug der Sowjetunion 1989 gemacht hat, nämlich Afghanistan sich selbst zu überlassen, im Jahre 2001/02 nicht wiederholen.
Berlin - Wir haben in den 90er-Jahren gesehen rückblickend hat es sich als ein Fehler herausgestellt , dass es nach dem Abzug der Sowjetunion zum Bürgerkrieg kam. Die Taliban haben sich durchgesetzt und in weiten Teilen des Landes eine Schreckensherrschaft errichtet. Sie haben al-Qaida die Zufluchtsräume ermöglicht, die diese Terrororganisation brauchte, um die Anschläge auf das World Trade Center, auf das Pentagon und auch in anderen Teilen der Welt vorzubereiten und durchzuführen.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie waren auch in Hamburg!)

Wegen der Einschätzung, wir dürfen Afghanistan nicht sich selbst überlassen, weil das eine Gefahr für die internationale Sicherheit ist, beteiligen sich seitdem über 40 Nationen an dem ISAF-Einsatz. Die Gedanken, die wir heute zum Ausdruck gebracht haben - beginnend mit der Würdigung durch den Bundestagspräsidenten am Anfang unserer Sitzung -, machen sich doch auch die Angehörigen von 1 550 Soldaten aus Australien, von 220 Soldaten aus Neuseeland sowie auch beispielsweise Angehörige von Soldaten aus Norwegen, Dänemark und Schweden. Natürlich wäre die Entscheidung in diesen Ländern für einen solchen Einsatz nicht gefallen, wenn die Politiker in Singapur, in den Arabischen Emiraten und in Aserbaidschan - ich will jetzt nicht die über 40 Länder alle aufzählen - nicht zu der gleichen Einschätzung gekommen wären, die heute die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung wiederholt hat. Es ist die internationale Sicherheit, die in Afghanistan auf dem Spiel steht. In einer globalisierten Welt heißt das: Es ist auch die deutsche Sicherheit, die dort auf dem Spiel steht. Deshalb ist der Satz von Peter Struck, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird, nach wie vor richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Volker Kauder (CDU/CSU), an die SPD gewandt: Wollt ihr nicht klatschen? - Gegenruf des Abg. Christian Lange (Backnang) (SPD): Wir nicken!)

Wir sind in Afghanistan, um Schlimmeres für die Menschen dort, insbesondere für die Frauen, zu verhüten. Ich empfehle Ihnen, einmal auf Google unter den Stichwörtern „Taliban“ und „Frauen“ nachzuschauen. Herr Ströbele, Sie finden dann Listen afghanischer Frauenorganisationen, in denen aufgeführt wird, was den Frauen alles verboten war und welche Strafen sie zu erleiden hatten, wenn sie gegen die Bekleidungsvorschriften oder etwa gegen die Vorschrift, sich nicht die Fingernägel zu lackieren, verstoßen hatten. In diesen Fällen wurden ihnen unter Umständen die Finger abgeschnitten. Auch daran müssen wir erinnern. Das ist ein wichtiger Aspekt in Bezug auf diesen Einsatz.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Ja.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Muss das sein?)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Polenz, Sie haben mich angesprochen und gefragt, ob mir das bekannt sei. Mir ist das bekannt. Es ist schrecklich. Ich will auch viel dafür tun, dass das nie wieder passiert.

(Lachen bei der CDU/CSU - Jörg van Essen (FDP): Wie denn? Dann sagen Sie mal, wie Sie es machen wollen!)

Aber man darf keinen Krieg führen. Denn die Frauen sind diejenigen, die am allermeisten unter dem Krieg leiden. Herr Kollege, ich habe vorgestern mit zwei Organisationen, mit dem Afghanischen Frauenverein und mit Medica Mondiale, gesprochen. Diese sagten mir: Die Situation der Frauen ist heute unter der Regierung Karzai und unter dem Schutz der internationalen Gemeinschaft in weiten Teilen des Landes noch so schlecht, dass sich jedes Jahr 200 Frauen verbrennen. Diese Frauen können den Zustand der Erniedrigung und der körperlichen Qualen - des Geschlagenwerdens usw. - nicht ertragen. Das heißt, wir haben es leider überhaupt nicht geschafft, diese Strukturen, in denen diese schlimme Gewalt gegenüber Frauen vorkommt und zur Tagesordnung gehört, zu beseitigen - auch unter dieser Regierung nicht. Es ist also nicht schwarz-weiß, wie Sie versuchen es darzustellen.

Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Herr Ströbele, jedem, der sich mit Afghanistan und der Entwicklung dort beschäftigt, ist bekannt, dass es nach wie vor erschreckende Ausmaße häuslicher Gewalt gibt und dass die patriarchalischen Strukturen der afghanischen Gesellschaft in vielen Teilen vor allen Dingen im ländlichen Raum nach wie vor zu einer sehr schlimmen Situation für Frauen führen. Aber jedem ist auch bekannt, dass seit dem internationalen Einsatz Mädchen in die Schulen gehen können, Frauen studieren können und Berufschancen haben und dass sich, ausgehend von den städtischen Zentren, die Lage der Frauen im Land verbessert.

Wenn Sie sagen, Sie wollten etwas in dieser Richtung beitragen, dann müssen Sie von Ihrer Rhetorik bei der Kritik des Mandats etwas Abstand nehmen. Denn die von mir genannten Effekte hätten Sie nicht, wenn die Taliban in Kabul wieder herrschen würden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) I

ch möchte noch etwas zu den Zielen der Taliban sagen. In dem Strategiepapier von McChrystal ist das sehr präzise beschrieben: The insurgents have two primary objectives: controlling the Afghan people and breaking the coalition’s will. Their aim is to expel international forces ... Den Willen der Koalition zu brechen, ist also das Ziel.

Deshalb ist es wichtig, wie wir nach solchen schrecklichen Anschlägen diskutieren. Wenn wir den Eindruck erwecken, es brauche vielleicht nur noch fünf oder zehn weitere Anschläge und dann sei unser Wille gebrochen und dann würden wir uns aus Afghanistan zurückziehen, gefährden wir die Sicherheitslage unserer Soldaten und laden geradezu zu weiteren Anschlägen ein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Uta Zapf (SPD))

Wir dürfen im Hinblick auf einen Taliban nicht nur die Assoziation „Turban, langer Mantel, barfuß oder mit Sandalen, Kalaschnikow“ haben, sondern müssen auch an den Laptop denken. Über diesen Laptop erfährt Spiegel Online zehn Minuten nach einem Anschlag, welche Ziele die Taliban zur Brechung des Willens der deutschen Bevölkerung und der deutschen Politiker verfolgen. Das müssen wir in unsere Diskussion einbeziehen. Deshalb ist auch der eine oder andere Vorwurf an die Art und Weise zu richten, wie die Linke in Deutschland die Diskussion führt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, die Soldaten dürfen sicherlich erwarten, dass wir uns ein realistisches Bild von der Gefährlichkeit ihres Einsatzes machen und dieses Bild auch in unseren Reden vermitteln.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr Wort in Guttenbergs Ohr!)

Deshalb ist es richtig, wenn die Bundeskanzlerin, der Außenminister und der Verteidigungsminister sie alle tun es in der gleichen Weise von kriegsähnlichen Zuständen oder von Krieg sprechen, um das Geschehen zu charakterisieren. Damit ändert sich aber die völkerrechtliche Lage nicht; das ist damit auch nicht intendiert. Es ist und bleibt, Herr Ströbele, ein Einsatz nach Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen. Sie vermischen diese beiden kommunikativen Ebenen absichtsvoll,

(Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

um gegen einen Krieg zu polemisieren, den Sie als völkerrechtlichen Krieg darstellen, wobei Sie genau wissen, dass Deutschland diese Art der Kriegsführung verboten wäre. Auch Herr Trittin hat in seinen Beiträgen leider Ähnliches anklingen lassen, Herr Gysi sowieso. Wir müssen uns also gegen diese absichtsvolle Vermengung der beiden Ebenen wehren. Eine realistische Beschreibung der Zustände muss erfolgen. Aber wir müssen klar festhalten: Es bleibt ein völkerrechtlicher Einsatz nach Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen führen, völkerrechtlich gesehen, keinen Krieg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Noch eine Bemerkung zur Politik. Herr Trittin, Sie haben kritisiert, dass zu wenig zum innerafghanischen Aussöhnungsprozess gesagt worden sei. Ich stimme Ihnen zu; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Denn wenn wir uns im Rahmen der Strategie der Übergabe in Verantwortung zurückziehen wollen, dann muss nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg, die in Afghanistan geherrscht haben, ein Zustand erreicht werden, in dem die afghanischen Stämme ihre Interessengegensätze möglichst gewaltfrei austragen und auf das Faustrecht verzichten. Sie wissen aber sehr genau deshalb war Ihr Vorwurf unredlich , dass bei den Gesprächen, die Karzai führt, und angesichts der Grenzen, die er versucht einzuhalten, Voraussetzung für diesen Versöhnungsprozess und die Beteiligung daran ist, dass erstens die afghanische Verfassung die Grundlage dessen sein soll, worauf man sich zu verständigen hat, zweitens auf Gewalt verzichtet wird und drittens eine scharfe Abgrenzung gegenüber al-Qaida erfolgt. Das sind die drei roten Linien, innerhalb deren sich der Versöhnungsprozess abspielen muss.

Eine letzte kurze - meine Redezeit ist gleich zu Ende - Bemerkung zur Einbeziehung der Nachbarn. Wir sprechen meines Erachtens zu wenig darüber, dass wir Afghanistan nicht dauerhaft stabilisieren können, wenn wir die Nachbarn nicht in diesen Prozess einbeziehen. Über Pakistan wird inzwischen glücklicherweise mehr geredet. Wir reden aber zu wenig über den Iran. Ohne den Iran wird es nicht gehen. Wir haben ebenso wie der Iran ein Interesse an einem stabilen Afghanistan ohne Drogenanbau. Nur bei Stabilität können die Iraner die Flüchtlinge wieder nach Afghanistan zurückschicken; es sind über 1 Million im Iran. Die Iraner sind keine Freunde der Taliban, und sie bekämpfen auch al-Qaida. Es gäbe also genügend Anknüpfungspunkte. Derzeit haben wir natürlich mit dem Iran das Nuklearproblem zu lösen. Ich glaube aber, dass sich das Nuklearproblem möglicherweise leichter besprechen und lösen lassen würde, wenn wir das Spielfeld im Zusammenhang mit einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Iran im Hinblick auf Afghanistan erweitern würden und dem Iran zeigen würden, welche Rolle wir ihm in der Region zubilligen.

(Beifall des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da haben Sie recht!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

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