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09.09.2011, 15:57 Uhr
Ruprecht Polenz: Rede zum Nahostkonflikt vom 09.09.2011
Der Bundestag debattierte heute den Nahost-Konflikt

Ruprecht Polenz (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Debatte über den Nahostkonflikt führen wir im Vorfeld der UN-Generalversammlung, wo wir mit einem möglichen Antrag der palästinensischen Führung rechnen, Palästina als Vollmitglied in die UNO aufzunehmen und als Staat anzuerkennen. Nach allem, was man weiß, würde es für einen solchen Antrag wahrscheinlich eine Mehrheit in der Generalversammlung geben.

Trotzdem muss natürlich jeder, der den Konflikt kennt, die Sorge haben, dass auch bei einer mehrheitlichen Annahme eines solchen Antrags sich für die Palästinenser vor Ort wenig Sichtbares ändert.

 In dem Fall wäre die Enttäuschung in der palästinensischen Bevölkerung vorherbestimmt. Es käme zu Protesten, die nach aller Erfahrung in der Region wahrscheinlich das Risiko einer gewaltsamen Eskalation bergen würden.

Deshalb ist es jetzt wichtig, zu schauen ‑ das ist eine weitere Sorge, die ich habe ‑, dass der Westen, die Europäische Union im Vorfeld dieser Generalversammlung möglichst gemeinsam auftritt. Denn wenn wir nicht gemeinsam votieren, dann hat die Europäische Union, dann hat der Westen im Nachhinein noch weniger Einfluss als jetzt. Das wäre verhängnisvoll.

Ebenso habe ich eine Sorge, wie diese Entwicklung den arabischen Frühling beeinflussen würde. Bisher gab es keine antiisraelischen, antiwestlichen Demonstrationen auf dem Tahrir Square und anderswo. Aber ein Eskalieren der Spannungen zwischen den Israelis und den Palästinensern würde den alten Herrschern Ablenkungsmöglichkeiten bieten, wie sie sie in der Vergangenheit gerne genutzt haben. Das ägyptische Militär hat nach wie vor keinen klaren Kurs auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Vielleicht nutzt man dann solche Vorkommnisse und schwächt auf diese Weise die friedlichen Reformbestrebungen in den arabischen Ländern. Auch diese Nebenwirkungen können also von einer Verschlechterung im Nahostkonflikt nach der Generalversammlung ausgehen.

Auch habe ich nach den Anschlägen in Eilat, wo es bei den Vergeltungsmaßnahmen Israels zum Tod ägyptischer Soldaten kam, die Sorge, dass inzwischen jede kleine terroristische Splittergruppe in der Region weiß, dass man bei dem vorhersehbaren Schema von Aktion und Reaktion das Land oder die Region sehr schnell an den Rand eines neuen großen Nahostkrieges bringen kann.

Ich habe auch große Sorgen ‑ Kollege Stinner hat es angesprochen ‑ wegen der Verschlechterung des israelisch-türkischen Verhältnisses. Das hat angefangen mit dem Streit um die Flotilla. Jetzt sind die diplomatischen Beziehungen heruntergestuft. Beide Seiten schauen vor allen Dingen auf die innenpolitische Situation und geben dort Raum für jeweils gegenseitige Ressentiments. Ich glaube aber, dass Israel in diesem Konflikt mehr zu verlieren hat ‑ egal wer recht hat. Denn die Herabstufung der diplomatischen Beziehungen löst jetzt aus der Bevölkerung heraus einen ziemlich starken Druck in Jordanien und Ägypten aus, dasselbe zu tun. Damit wäre das, was durch die Friedensverträge wenigstens im Hinblick auf einen kalten Frieden erreicht worden ist, infrage gestellt.

Natürlich trägt auf der einen Seite  ‑ da stimme ich dem Kollegen Stinner ausdrücklich zu ‑ das Säbelrasseln in der Rhetorik von Erdogan überhaupt nicht dazu bei, die Situation einigermaßen in Grenzen zu halten. Auf der anderen Seite möchte ich aber auf Folgendes hinweisen: Heute war in der Zeitung zu lesen, dass der israelische Außenminister Lieberman unter der Überschrift „Zusammenarbeitsprogramm mit den Feinden der Türkei“ ankündigt, sich jetzt besonders den Kurden und den Armeniern im amerikanischen Kongress zuwenden zu wollen. Zwischen den Diplomaten Israels und der Türkei war ja schon, soweit man lesen und hören konnte, eine Formel gefunden, wie der Streit um die Flotilla beigelegt werden könnte. Das ist letztlich am israelischen Außenminister gescheitert.

Bei all diesen Diskussionen geht unter ‑ deshalb möchte ich es hier erwähnen, vielleicht auch als Appell an die israelische Seite, sich ein umfassendes Bild von der Türkei zu machen ‑, dass die Türkei gerade jetzt zugestimmt hat, ein Hochleistungsradar im Osten des Landes zu installieren, das ‑ zusammen mit Schiffen der USA ‑ der Abwehr der ballistischen Raketen aus dem Iran dienen soll. Das Kerninteresse Israels ist es, vor der iranischen Bedrohung geschützt zu sein. Hier steht auch für die israelische Seite eine ganze Menge auf dem Spiel.

Letztlich können beide, Türkei und Israel, nur verlieren, wenn es nicht gelingt, die Abwärtsspirale, in der wir uns im Augenblick befinden, zu stoppen und den Streit beizulegen. Ich denke, dass Deutschland hinter den Kulissen ‑ ich weiß, Herr Außenminister, dass Sie sich darum bemühen ‑ vielleicht etwas dazu beitragen kann, diesen Streit beizulegen. Das wäre sehr wichtig.

Ich habe diese Punkte genannt, um den Hintergrund zu beleuchten, der zeigt, wie wichtig es ist, einen Showdown in der Generalversammlung der Vereinten Nationen möglichst zu vermeiden. Es ist heute noch zu früh, um etwas über das Abstimmungsverhalten zu sagen. Der Text ist noch nicht bekannt, und vor allen Dingen ‑ das ist ganz wichtig, das hat heute noch keiner gesagt ‑ ist auch noch gar nicht bekannt, wie sich die Hamas zu diesem Text einlässt. Es ist ja keine palästinensische Regierung, die diesen Text einbringt.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Der Präsident!)

‑ Ja, der Präsident; aber die Hamas sagt dazu nichts. ‑ Natürlich macht es einen Unterschied, ob die palästinensische Initiative Israel verspricht, es gehe um die Grenzen von 1967, das als Grundlage für Verhandlungen anbietet, und das die Position ist, oder ob ein Teil der Palästinenser nach New York geht und sagt: Wir ergreifen jetzt die Initiative und, was den anderen Teil betrifft, müssen wir mal schauen, den bringen wir schon noch dazu. ‑ Das ist ein großer Unterschied.

Eine Zwei-Staaten-Lösung kann, wie Herr Stinner es bereits ausgeführt hat, nur durch Verhandlungen entstehen. Deshalb müssen wir daran festhalten, dass weitere Verhandlungen durch den Prozess in New York nicht behindert werden dürfen. Im Gegenteil, wir sollten versuchen, ihm näherzukommen. Wir sollten auch dazu beitragen, dass weitere Eskalationen möglichst nicht eintreten. Das geht aber nur, wenn wir eine gemeinsame Haltung der Europäischen Union zusammen mit den Amerikanern erreichen.

Es steht aber außer Frage ‑ auch hier schließe ich an das an, was der Kollege Stinner gesagt hat und was auch Sie gesagt haben, Herr Kollege Gloser ‑: Wir haben besondere Beziehungen zu Israel. Die besonderen Beziehungen Israels zu Deutschland verpflichten uns, dafür einzutreten, dass der Staat Israel sicher in Frieden und Freiheit mit seinen arabischen Nachbarn leben kann. Das geht nur über eine Zwei-Staaten-Lösung. Das ist der Konsens, den dieses Haus vielfach zum Ausdruck gebracht hat und der im Grunde auch die Linie der Bundesregierung ist. Diese Zwei-Staaten-Lösung kann aber nur durch Verhandlungen erreicht werden. Einseitige Schritte, die die Beteiligten von Verhandlungen entfernen, die Verhandlungen erschweren, sind falsch.

(Beifall der Abg. Bettina Kudla (CDU/CSU))

Herr Gloser, natürlich haben Sie recht damit, dass der Siedlungsbau, Haus für Haus, sozusagen einen einseitigen Schritt nach dem anderen bedeutet.

(Günter Gloser (SPD): Und der ist materiell!)

- Richtig, der ist materiell. - Deshalb ist es wichtig - die Bundesregierung tut es -, dies der israelischen Regierung deutlich zu machen.

Herr Gloser, bei allem Respekt vor der Rolle der Opposition: Es ist nicht richtig, hier der Regierung ein Päckchen aufzupacken. Obama hat es mit all den Mitteln und Möglichkeiten, die die Amerikaner gegenüber Israel haben, vergeblich versucht, Israel vom Siedlungsbau abzuhalten; er hat es, wie wir wissen, nicht geschafft. Das ändert nichts an der Richtigkeit dieses Ziels. Aber wir sollten eben auch nicht aus dem Auge verlieren, dass unsere Möglichkeiten, in diesem Konflikt hilfreich zu sein, begrenzt sind; wir sollten nicht zu hohe Erwartungen erwecken.

Wir haben als wichtiges europäisches Land und angesichts unseres besonderen Verhältnisses zu Israel die Aufgabe, ehrlich zu sagen, wo unsere Sorgen liegen, was auf dem Spiel steht und dass wir bereit sind, mitzuhelfen, eine Lösung zu finden. Dem soll auch die heutige Debatte dienen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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